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Verbotene Strafkriege

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von CHRISTIAN RICHTER

In der Nacht auf den 14. April 2018 haben die Luftstreitkräfte des Vereinigten Königreichs, Frankreichs und der USA verschiedene Ziele in Syrien bombardiert. Die Angriffe erfolgten als Reaktion auf einen der syrischen Regierung zugeschriebenen Giftgasangriff am 7. April in Douma. In der völkerrechtlichen Literatur wurden die Luftangriffe zu Recht als evident völkerrechtswidrig bezeichnet. Zu diesem Ergebnis kommen nun auch die Wissenschaftlichen Dienste des Bundestages. Die Angriffe brechen jedoch nicht nur das Gewaltverbot des Art. 2 Nr. 4 UN-Charta, sondern erschüttern vielmehr noch die Fundamente des modernen Friedenssicherungsrechts und konterkarieren das Völkerstrafrecht.

Das Friedenssicherungsrecht

Die Rechtfertigungsversuche der USA und Frankreichs blieben im Bereich des Politischen. Eine rechtliche Begründung ist ihnen nicht zu entnehmen. Lediglich das Vereinigte Königreich führte die Humanitäre Intervention als Rechtfertigung. Deren Voraussetzung, massive und systematische Menschenrechtsverletzung, denen man militärisch begegnet, um sie zu beenden, lagen nicht vor. Insbesondere sind weniger als ein Prozent der Verluste im syrischen Bürgerkrieg auf Gasangriffe zurückzuführen. Zudem ist die Rechtsfigur der Humanitären Intervention nach wie vor höchst umstritten. Weder in der Staatenpraxis noch in der Völkerrechtsliteratur hat sie nennenswerte Akzeptanz erfahren.

Wenn Syrien Chemiewaffen in Douma eingesetzt hat, muss angenommen werden, dass Luftschläge auch nicht geeignet sind, Assad davon abzuhalten, Chemiewaffen einzusetzen. Dies war nämlich nicht der erste Angriff dieser Art. Die USA haben bereits am 7. April 2017 als Reaktion auf einen Giftgaseinsatz im syrischen Khan Shaykhun Ziele in Syrien bombardiert. Nach israelischen Angaben sollen die syrischen Chemiewaffen auch durch den jüngsten Angriff nicht zerstört worden sein. Somit muss davon ausgegangen werden, dass dem Luftangriff kein Erfolg beschieden war. Falls die Luftangriffe Teil einer Strategie gewesen sein sollten, ist diese derzeit nicht erkennbar.

Problematischer als die mangelnde Strategie hinter den wohl wirkungslosen Angriffen, sind die möglichen Folgen für das moderne Völkerrecht, dem sie diametral entgegenstehen. Den Kommentaren der USA, Frankreichs und des Vereinigten Königreichs liegt ein gemeinsamer Impetus inne: Syrien für den Giftgaseinsatz zu bestrafen. Damit knüpfen Washington, Paris und London implizit an die Lehre des gerechten Krieges an. Nach der bellum iustum Lehre war ein Krieg seit dem frühen Mittelalter gerecht und damit zulässig, wenn er als Strafe auf einen Rechtsbruch erfolgte.

Aufgrund der Regelungen der UN-Charta ist jedoch kein Raum mehr für die Lehre des gerechten Krieges und den Einsatz militärischer Gewalt als Reaktion auf einen Rechtsbruch oder als Strafe. Zentrale Aufgabe des Friedensicherungsrechts ist es, den Weltfrieden und die internationalen Sicherheit zu wahren, und nicht in nichtinternationale bewaffnete Konflikte strafend einzugreifen. Verletzungen des Humanitären Völkerrechts völkerstrafrechtlich zu ahnden, ist im Übrigen mittlerweile Aufgabe des Internationalen Strafgerichtshofs (IStGH).

Völkerstrafrecht

Zugegebenermaßen ist es jedoch fraglich, ob Assad für einen völkerrechtswidrigen Einsatz von Giftgas völkerstrafrechtlich belangt werden kann. Nach Art. 8 Absatz 2 b xvii und xviii IStGH-Statut ist der Einsatz von Giftgas und ähnlichen Substanzen grundsätzlich nur als Kriegsverbrechen im Falle internationaler bewaffneter Konflikte strafbar. Die auf der Überprüfungskompetenz von Kampala im Jahr 2010 beschlossene Ausdehnung auf den nichtinternationalen bewaffneten Konflikt ist mittlerweile in Kraft getreten, gilt aber nur für die 36 Staaten, die die Änderung ratifiziert haben. Gemäß Art. 7 IStGH-Statut sind aber auch Verbrechen gegen die Menschlichkeit strafbar. Zudem kommt eine Strafbarkeit nach Völkergewohnheitsrecht in Betracht. Syrien hat jedoch das IStGH-Statut nur gezeichnet, nicht aber ratifiziert. Der IStGH wäre also nur dann zuständig, wenn der Sicherheitsrat dem IStGH die Angelegenheit nach Kapitel VII der UN-Charta überträgt. Aufgrund der Paralyse des Sicherheitsrates in der Syrienfrage ist eine entsprechende Resolution wohl kaum zu erwarten. Nach dem Ende des Bürgerkrieges in Syrien könnte möglicherweise ein hybrider Strafgerichtshof in Syrien etwaige Kriegsverbrechen ahnden. Allerdings ist es derzeit nicht unwahrscheinlich, dass Assad den Bürgerkrieg erfolgreich beenden wird. Eine Anklage dürfte dann nicht gegen ihn erhoben werden.

Dichotomie von ius in bello und ius ad bellum

Wenn die USA erklären, mit den Luftschlägen auf ein Verbrechen Assads reagieren zu wollen, wird zudem der in seiner Bedeutung kaum zu überschätzende völkerrechtliche Grundsatz der Dichotomie von ius in bello und ius ad bellum verletzt. Demnach ist es nicht zulässig, in dem einen Rechtsgebiet mit Regeln des anderen Rechtsgebietes zu argumentieren. Sonst bestünde nämlich die Gefahr, dass der Staat, der sich im Hinblick auf das ius ad bellum im Recht sieht, den Standpunkt einnimmt, sich nicht mehr an das ius in bello halten zu müssen – der Gegner ist ja ein Rechtsbrecher. Umgekehrt könnte ein Staat, der einen massiven Bruch des ius in bello eines anderen Staates annimmt, ohne das Prinzip der Dichotomie der Auffassung sein, einen Rechtsgrund für die Anwendung militärischer Gewalt zu haben – und damit das ius ad bellum, das Friedenssicherungsrecht, ignorieren.

Völkerrechtshistorischer Rückschritt

Die Dichotomie von ius in bello und ius ad bellum ist ein Phänomen des modernen Völkerrechts. Allerdings hat schon Hugo Grotius beide Rechtsgebiete getrennt behandelt. Grotius war zwar der letzte Vertreter der Lehre des gerechten Krieges in klassischer Form, führte jedoch zudem den Topos des förmlichen Krieges ein. Danach kann eine Partei einen Krieg rechtmäßig führen, ohne dass feststeht, dass die iusta causa auf seiner Seite ist. Somit hat bereits Grotius neben späteren Klassikern des Völkerrechts wie Wolf und de Vattel die ideengeschichtlichen Grundlagen für die Dichotomie von ius in bello und ius ad bellum geschaffen.

Der Angriff am 14. April war keine Aggression, wie Russland meinte, aber ein evidenter Bruch des Gewaltverbots. Wenn der Einsatz militärischer Gewalt in den internationalen Beziehungen nunmehr zudem mit einer Verletzung des ius in bello, des Humanitären Völkerrechts begründet werden soll, wäre zumindest das Verhalten der USA und Frankreichs darüberhinaus ein beunruhigender völkerrechthistorischer Rückschritt.

Zitiervorschlag: Richter, Verbotene Strafkriege, JuWissBlog Nr. 40/2018 v. 8.5.2018, https://www.juwiss.de/40-2018/.

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